Friedensnobelpreis 1970: Norman Ernest Borlaug

Friedensnobelpreis 1970: Norman Ernest Borlaug
Friedensnobelpreis 1970: Norman Ernest Borlaug
 
Das Osloer Nobelpreiskomitee zeichnete den amerikanischen Agrarwissenschaftler für seine Verdienste um die Linderung des Hungers in der Welt aus.
 
 
Norman Ernest Borlaug, * Cresco (Iowa) 25. 3. 1914, Agrarwissenschaftler, 1941 Promotion an der University of Minnesota, 1944-60 Assistent an der Forschungsstation Campo Atizapán (Mexiko), 1960-63 Leiter des Inter-American Food Crop Program, 1964-79 Direktor des Centro Internacional de Mejoramiento de Maíz y Trigo (CIMMYT), 1984 Professor an der Texas A&M-University.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Naturwissenschaftler sind unter den Friedensnobelpreisträgern selten, und obwohl, wie schon 1917 auf den Bannern der russischen Revolution zu lesen war, Brot und Frieden untrennbar zusammengehören, wurde bisher kaum einmal ein Naturforscher geehrt, weil er sich Verdienste um die Ernährung der Weltbevölkerung erworben hat. Zu den wenigen zählt der Landwirtschaftsexperte Dr. Norman Ernest Borlaug. Er war stets davon überzeugt, dass »der Weltfrieden sich nicht verwirklichen [lässt], solange Menschen Hunger leiden und im Elend leben«.
 
Eigentlich hätte Borlaug die Farm seiner Eltern übernehmen sollen, doch dann ließ er sich vom Großvater zu einer akademischen Laufbahn überreden. Mit akademischen Ehrungen und Titeln wurde er zwar inzwischen überhäuft, ein typischer Akademiker ist Norman E. Borlaug jedoch bis heute nicht geworden — im Gegenteil: Er verabscheut akademische Allüren, arbeitet lieber auf den Versuchsfeldern als am Schreibtisch und soll die Fragen von Schülern nach seinen neuesten Veröffentlichungen meist mit einer Gegenfrage quittieren: »Was möchten Sie lieber: Papier oder Brot?«
 
Der Weg zum führenden Agrarwissenschaftler des 20. Jahrhunderts war steinig, denn er begann in den Jahren der Weltwirtschaftskrise. Borlaug absolvierte zunächst eine Ausbildung in Biologie und Forstwissenschaften, arbeitete einige Jahre im US-Forstdienst, wurde dann aber arbeitslos, weil seine Stelle gestrichen wurde. Bei seinem Studium an der Universität von Minnesota spezialisierte er sich auf Pflanzenpathologie, insbesondere auf die Untersuchung der durch Pilze verursachten Rostkrankheiten, von denen unter anderem der Weizen und andere Getreidepflanzen häufig befallen werden. Nach der Promotion erhielt Borlaug eine Anstellung in den Forschungslabors eines US-Chemiekonzerns und entwickelte dort eine Reihe von Pflanzenschutzmitteln. 1944 berief ihn die Rockefeller-Stiftung als mittlerweile anerkannten Experten in das kleine Forscherteam, das im mexikanischen Campo Atizapán unter anderem nach Wegen suchte, wie man die einheimischen Weizen- und Maissorten widerstandsfähiger gegen den Befall durch Rostpilze machen und so die Ernteerträge deutlich steigern könnte.
 
 Wunderweizen und Wundermais
 
Die Erfolgsbilanz des »Rockefeller Foundation's Cooperative Mexican Agricultural Program«, Vorläufer des heute in Mexiko-Stadt mit zahlreichen Zweigstellen in vielen Ländern der Erde ansässigen »Centro Internacional de Mejoramiento de Maíz y Trigo« (CIMMYT, »Internationales Zentrum zur Verbesserung von Mais- und Weizensorten«), ist beeindruckend. Borlaug und seinen Kollegen gelang in den 1950er- und 1960er-Jahren die Züchtung dutzender neuer Getreidesorten, die wesentlich höhere Erträge als die herkömmlichen liefern und zudem durch erhöhte Eiweißgehalte oft auch qualitativ besser sind. Diese »high-yielding varieties« (HYV, hochertragfähige Sorten) haben kurze, feste Halme (überstehen daher Starkregen besser als langstrohige Sorten) und schräg nach oben gerichtete Blätter, die das Sonnenlicht optimal nutzen, eignen sich hervorragend für den Bewässerungsanbau und sind mit etwa 120 bis 150 Tagen von der Saat bis zur Ernte vergleichweise frühreif. Die Ertragsfähigkeit des »Wunderweizens« und des »Wundermais«, wie man die Sorten vom Campo Atizapán bald nannte, kann allerdings nur voll ausgeschöpft werden, wenn die Pflanzen bis kurz vor der Ernte ausreichend mit Wasser versorgt werden; meist haben sie zwei Bewässerungen mehr nötig als andere Sorten. HYV-Sorten brauchen darüber hinaus vor allem auf leichten Böden zusätzlich Mineraldünger und verstärkten Schutz vor Unkräutern. Ein Problem, das man bis heute noch nicht zufriedenstellend gelöst hat, ist die Widerstandsfähigkeit der Getreidepflanzen gegenüber Rostkrankheiten, weil ständig neue Rassen der Rostpilze auftreten. Insgesamt gesehen bedeutete die Züchtung dieser Getreidesorten jedoch einen enormen Fortschritt auf dem Weg zu einer Welt ohne Hunger, und als Norman E. Borlaug 1970 den Friedensnobelpreis erhielt, wurde er in Zeitungskommentaren als der Mann bezeichnet, der Millionen oder gar Milliarden von Menschen vor dem sicheren Hungertod bewahrt habe.
 
 Vor der nächsten grünen Revolution?
 
Der Friedensnobelpreisträger von 1970 gilt außerdem als einer der Väter der »grünen Revolution«, jener tief greifenden Modernisierung der Landwirtschaft, die nicht zuletzt dank der HYV-Sorten von Weizen, Mais und Reis früher von verheerenden Hungersnöten geplagte Länder wie Indien oder China in die Lage versetzte, ihre Bevölkerung ausreichend mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Im Jahr der Preisverleihung lagen die Ernteerträge von Weizen im weltweiten Durchschnitt bei weniger als 1500 kg je Hektar, bis zur Mitte der 1990er-Jahre waren sie schon auf über 2600 kg je Hektar gestiegen. Trotzdem ist damit die Gefahr verheerender Hungersnöte nicht gebannt, denn im letzten Jahrzehnt sind die Getreideerträge viel langsamer als die Weltbevölkerung gewachsen. Borlaug hatte bereits anlässlich der Preisverleihung betont, dass mit der »grünen Revolution« die Welternährungskrise nicht endgültig bewältigt, sondern nur um einige Jahrzehnte verschoben worden sei. Er forderte einerseits wiederholt eine konsequente Kontrolle des Bevölkerungswachstums, andererseits den verstärkten Einsatz gentechnisch veränderter Nutzpflanzen, bei denen sich die Bekämpfung der Unkräuter agrartechnisch viel bequemer, gewissermaßen mit einer einzigen chemischen »Razzia« erledigen lässt. Einwände von Umweltschützern gegen eine ohne Rücksicht auf Verluste nur auf Steigerung der Ernteerträge ausgerichtete Agrarpolitik wies der Friedensnobelpreisträger stets entschieden zurück — solche ökologischen (und ökonomischen) Verluste gehören freilich zu den Kehrseiten der vergangenen und wahrscheinlich auch der zukünftigen »grünen Revolution«: Mehr als zehn Prozent der Landflächen der Erde sind inzwischen durch Überdüngung und Missbrauch von Pestiziden als fruchtbarer Ackerboden unbrauchbar geworden, durch zu schweres landwirtschaftliches Gerät ist fast ein Fünftel der Landfläche Europas geschädigt, seit 1960 hat der Wasserverbrauch der Landwirtschaft um 60 Prozent zugenommen, unter anderem beim Anbau wasserzehrender HYV-Sorten, und mehr als die Hälfte der kostbaren Wassermassen wird wegen falscher Bewässerungstechniken verschwendet, verdunstet oder versickert nutzlos im Boden.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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